Eine Seite mit vielen Worten

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Zwei Geschichten zum 80sten meiner Mutter

Bunte Linien
Wir hatten einmal einen Lloyd. Mit einem Lloyd konnten damals junge Familien mit 2 Kindern und kleinem Budget in die größer werdende Welt hinaus fahren. Um das nicht in Sack und Asche zu tun, stand, elektrisch oder meist fußbetrieben, eine Pfaff-, Singer- oder Adler-Nähmaschine in einer Wohnungsnische. Mit etwas Stoff, einem Schnittmuster und Schaffenskraft, sah es hinterher aus, wie gekauft. Wenn der Vater die Straßenkarte und die Mutter das Schnittmuster ausbreitete, schaffte die kindliche Phantasie eine Verbindung zwischen beidem. Ja, wenn die Mutter dann noch mit einem kleinen, gezahnten Rädchen den Linien entlang fuhr, war ihr die Aufmerksamkeit der Kinder gewiss, und sie waren sich einig, dass die von der Mutter ausgearbeitete Tour, mit ihren langen geschwungenen Linien, wohl die beschwingtere sei. Der Zusammenhang zwischen ihrem konzentrierten Wirken und dem anschließenden Ausflug in schönen Kleidern, stand nie in Frage. Die Kinderkleidung, die es damals zu kaufen gab, konnte zwar durch ihre Erscheinung gefallen – zumindest den Erwachsenen – nicht aber durch ihren Tragekomfort. Meist waren es kratzige, steife Stoffe, mit groben Nähten, verantwortlich für Scheuer- und Schürfwunden. Ausflüge und Spaziergänge waren so die Hölle. Nicht so die durch die langen geschwungenen Linien der Schnittmuster entstandenen Sachen, damit machten Ausflüge Spaß. Die trug auch unsere Mutter. Und die sah gut aus, und wir auch, und das wiederum freute den Vater. Und so saß eine glückliche junge Familie im Lloyd.


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Berge

Wenn der Rheinländer in die Berge kommt, muss er, um den Horizont zu sehen, den Kopf in den Nacken legen. Das ist die erste Umstellung. Dann beschließt er, auf einen Berg zu steigen, der Aussicht wegen und weil man sich oben am Gipfelkreuz fotografieren und in ein Gipfelbuch eintragen kann. Der Rheinländer ist sehr gesellig und trägt gerne seinen Namen in eine Liste ein, mit Menschen, die alle die Idee hatten, auf diesen Berg zu steigen und das dann auch getan haben. Das Ziel im Herzen strebt er dann beschwingt dem Gipfel entgegen – zumindest die ersten 20 Minuten. Dann stellt er fest, dass es immer bergauf geht, und zwar steil bergauf, steil wie eine Treppe. Den Kölner Dom hat er schon einmal in 20 Minuten bestiegen und dann oben verschnauft und über Köln gekuckt; 100 Meter hoch. Und jetzt: keine Aussichts-Plattform. Der Weg geht einfach weiter rauf. Und das erste Schild des Österreichischen Alpenvereins sagt: 2 ½ Stunden bis zum Gipfel voraus. Naja, dann sollte man bei zügigem Aufstieg so in 2 Stunden oben sein, denkt der Rheinländer und lehnt sich wieder gegen den Weg. Kurz darauf stellt er fest, dass der Rucksack nicht richtig sitzt und zu schwer ist und dass die Schuhe zu lose gebunden sind und er sich besser den Anorak mit der Unterachsel-Lüftung gekauft hätte und er denkt nach, ob der Herzschlag, der in seinen Kopf hineinpocht, etwas kaputt machen könnte und wann der Arzt ihn das letzte Mal richtig abgehört hätte. Dann geschieht etwas Ungeheuerliches, ein älteres Ehepaar zieht freundlich grüßend an ihm vorbei. – Hier vor den beiden Alten den „Schlappen“ machen ? Kommt nicht in Frage. Das Fernglas wird hervor geholt und etwas vermeintlich Interessantes ins Visier genommen, um das Verschnaufen zu tarnen. Es gibt eigentlich nichts Besonderes zu sehen, zumal das Bild im Fernglas wild auf- und abhüpft, im Rhythmus des Herzschlags, und außerdem die Linsen beschlagen. Wie sich der Puls beruhigt, alles neu verzurrt und die Kraft zurück gekehrt ist, geht es eilig den Weg hinauf, den Alten hinterher. Gleich müsste er sie einholen. Doch nach der nächsten Wegbiegung sind die noch nicht zu sehen. Und nach 2 weiteren Serpentinen immer noch nicht. Nach der 4. Kurve sieht er sie 3 Kehren über sich am Hang, ruhig, Schritt für Schritt vorwärts gehen. Und da ist wieder dieses Pochen im Kopf, Schweiß tropft ihm ins Auge. Der rechte Schuh drückt hinten an der Ferse. Der Anorak muss aus. Aber nicht in den Rucksack, der ist schon zu schwer. – Was ist da überhaupt drin ? Ne Flasche Wasser, n Butterbrot, Plätzchen, 3 Mandarinen, das blöde Fernglas, Fotoapparat, Kompass (warum nur ?), Sonnenbrille, Handy, ne Landkarte 1 : 100.000 und der Krimi, den er auf einer Almwiese liegend genüsslich zu Ende lesen wollte, ja und noch der Pullover, weil’s morgens so kalt war. Zumindest der Krimi war überflüssig. Den könnte man hier hinter einen Stein legen und später beim Abstieg wieder mitnehmen. Gesagt getan – das Gewicht ist schon mal weg. Jetzt noch die Mandarinen essen, nen kräftigen Schluck Wasser und das halbe Butterbrot – das Gewicht ist auch weg. – Derart erleichtert macht er sich wieder auf den Weg, darüber grübelnd, wo denn jetzt das Gewicht von den Mandarinen, dem Wasser und dem Brot wohl ist? Mit der Antwort auf die Frage kommt Harndrang auf. Und er pinkelt einen langen Bach gegen den Berg. Und er ist sich sicher, dass er das nun wirklich nicht mehr hochtragen muss. Ein scheuer Blick, ob ihn auch niemand gesehen hat, nein, die beiden vor ihm sind nicht mehr zu sehen. Er befiehlt sich bergauf. Lieder vom Rheinischen Karneval erklingen in seinem Kopf und der Schritt gleicht sich dem Rhythmus an. Irgendwann zieht langsam ein Schild vom Österreichischen Alpenverein an ihm vorbei. „Zum Gipfel 45 Minuten“. Und er ist schon 2 ¾ Stunden unterwegs. Die spinnen, die Österreicher. Es wird felsiger und schroffer. Und es kommt eine neue Erfahrung für den Rheinländer. Normalerweise sieht er, wenn er geht, rechts und links den Boden. Solange Rechts und Links den gleichen Abstand haben, geht er gerade und aufrecht. Das Gehirn registriert das und sagt „Alles ist gut“. Hier aber hatte er links den Felsen und rechts eigentlich gar nichts. Nichts Greifbares, Erkennbares. Doch.. vielleicht das Sträßchen, das sich tief unter ihm im Tal an kleinen Häuschen vorbei aus dem Tal heraus schlängelt, durch den Ort Mariapfarr, der da liegt, wie aus dem Flugzeug fotografiert und sein Gehirn registriert das und sagt „Das ist schlecht“. Vom Magen zieht ein taumelndes Gefühl unters Herz herauf und durch den Schritt hinunter in die Knie. Auf der Bahn dieses Gefühl wird alles wachsweich. Die Angst, jetzt rechts den Felsen herunter zu tropfen lässt das Wachs mit einem Mal wieder aushärten und friert den Rheinländer in einer unvorteilhaften Haltung ein. Beide Füße und beide Hände berühren den Boden, außerdem das linke Knie. Wie ein „Fleischmagnet“ zieht ihn die Tiefe nach rechts unten und wie Stahlfedern stemmen sich all seine Muskeln dagegen. Nichts geht mehr. Er wird genau so verharren, bis die Kräfte versagen. Ein unglaubliches Ende. Und auf einmal schiebt sich etwas zwischen ihn und den Abgrund. Zwei Engel, nein, das ältere Paar, das an ihm vorbei gezogen war. Die kamen oben vom Gipfel herunter und trafen nun auf den Erstarrten. Dessen Augen hatten nun links den Fels und rechts die freundlichen Veteranen, und nicht mehr die Tiefe. Und sein Gehirn sagte „Es wird jetzt alles gut“. Er schaffte die Wende und erreichte, flankiert von ermutigenden Worten, gehbares Gelände. ENTRONNEN. Den Weg bergab ging er mit den beiden zusammen. Die erzählten, dass es weiter oben ein paar recht ausgesetzte Stellen gäbe, und dass das Gipfelkreuz sehr „luftig“ sei. Sie hieße“Helga“,er „Horst“ und sie kämen auch aus dem Rheinland, würden aber schon viele Jahre hier in die Berge kommen und hätten schon viele der umliegenden Gipfel bestiegen. Sie hätten anfangs auch Lehrgeld bezahlt. Mittlerweile würden sie es aber langsam angehen lassen und den Weg über das Ziel stellen. Der Rheinländer hatte etwas verstanden und Liebe zu den Bergen entwickelt. Und bei späteren Wanderungen in zahlreichen Büchern gelesen: „Horst und Helga waren hier. Ein wunderschöner Tag und gute Sicht.
„Servus“.

Gipfel des Mosermandel




Mutter am Südanstieg zum Mosermandl

Alles Gute alte Bergziege !

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Nu isse 88, ganz schön hoch hinaus!




Das ist bezaubernd! Später fliegt`s weg.